Warum bin ich so wie ich bin?
Viele Menschen streben nach persönlicher Freiheit, indem sie bewusst und fleißig ein Selbsthilfebuch nach dem anderen studieren; doch am Ende fühlen sie sich oft nur noch mutloser und hilfloser.
Irgendwie scheinen viele Ideen, die auf dem Papier großartig wirken, sich im Leben nicht zu bewähren. Das Problem liegt darin, dass die Inhalte von Büchern vom bewussten Geist gelesen und verstanden werden, wobei die Informationen jedoch selten in die bereits existierenden Verhaltensprogramme des Unterbewusstseins sickern.
Wir nehmen uns vor, Dinge zu verändern – und können es kaum erwarten, damit zu starten.
Erinnern Sie sich ? Das Jahr liegt hinter uns und viele von uns haben die gut gemeinten Neujahrsvorsätze bereits nach kurzer Zeit wieder an den Nagel gehängt.
Wir sollten nicht vergessen, dass Veränderung kein Schalter ist, den man schnell mal umlegt, sondern ein Prozess. Wir können die Weichen stellen, aber der Zug fährt langsam an.
Anders gesagt: Wer alles sofort will, dürfte damit wahrscheinlich sicher scheitern.Veränderung beginnt, wenn wir unsere Aufmerksamkeit nicht auf die Ursachen, sondern auf den erwünschten Zustand richten.
Um die eigene gegenwärtige Geschichte wirklich zu verstehen und zu erkennen, warum und wie wir sie ändern sollten, wollen wir uns zuerst die Historie unserer Geschichten anschauen.
Seit frühen Anfängen der Menschheit suchen wir nach Antworten auf die ewigen Fragen:
1. Wie sind wir entstanden?
2. Wozu sind wir hier?
3. Wie können wir das Beste aus unserem Dasein machen?
Archäologen und Historiker legen dar, dass die Zivilisation unserer Welt grundlegende Paradigmen (Denkweisen) durchlaufen haben, das heißt sich auf 4 Erklärungen der Existenz geeinigt haben:
– ANIMISMUS
– POLYTHEISMUS
– MONOTHEISMUS
– MATERIALISMUS
Jedes Mal wenn eine dieser Stufen die Grenzen Ihres Verständnisses und Einflussbereichs erreicht hatte, entstand eine evolutionäre Entwicklung, die eine neue Stufe hervorbrachte, diese widerlegte das bisherige Paradigma, behielt aber auch Überreste davon bei, sei es als integrierte Bestandteile oder als isolierte Überbleibsel.
Jedes dieser Paradigmen war davon geprägt, wie die Bevölkerung der jeweiligen Zeit ihre Existenz und Ihre Beziehung zum Kosmos wahrnahm.
Seit den frühen Anfängen der Zivilisation haben die Menschen das Universum in zwei polarisierte Bereiche aufgeteilt:
– das MATERIELLE = PHYSISCHE UNIVERSUM
– das NICHTMATERIELLE = GEIST = UNSICHTBARE KRÄFTE (in der heutigen Wissenschaft auch als ENERGIEFELDER bezeichnet)
Wenn man die gesellschaftliche Sicht der Beziehung zum Kosmos auf einer Zeitlinie aufträgt, erhält man erstaunliche Erkenntnisse über die Evolution und Zukunft der Menschheit.
ANIMISMUS –Eins sein mit allem – der Geist ist allgegenwärtig
Der Animismus ist die älteste religiöse Praxis der Menschheit. Man vermutet seine Ursprünge in den primitiven Kulturen des NEOLITHIKUMS um 8000 v.Chr.
Beispiel:
Manch einer meint, der paradiesische Garten Eden sei eine Erfindung der jüdisch-christlichen Tradition, doch der Mythologe Joseph Campbell hat untersucht, dass alle menschlichen Kulturen ähnliche Überlieferungen kennen. Die Universalität dieses Mythos verweist auf eine ganz ursprüngliche Erinnerung an unsere Verbindung mit allem, was ist.
Unter Eingeborenen Kulturen gibt es auch heute noch Animismus. Die australischen Aborigines sehen die wahre Realität im Bereich des Spirituellen. Das Leben in der physischen Welt wird als Wachtraum betrachtet. Der Schleier zwischen dieser Welt und der nächsten, zwischen der Materie der physischen Welt und den unsichtbaren Kräften der spirituellen Welt ist dünn.
Für manche alten Völker gibt es auch keine Zeit. Jeder Augenblick ist ein weiteres JETZT!
Im Animismus haben wir folgende Antworten auf die ewigen drei Fragen:
1.) Wie sind wir entstanden?
Wir sind Kinder von Mutter Erde (dem Bereich des Materiellen) und Vater Himmel (dem Bereich des Spirituellen).
2.) Wozu sind wir hier?
Um den “Garten” zu hegen und um zu gedeihen.
3.) Wie können wir das Beste aus unserem Dasein machen?
Indem wir im Gleichgewicht mit der Natur leben.
Der Animismus ist vielleicht die am beste ausbalancierte Haltung, welche die Menschheit jemals eingenommen hat. Alles war eins – eins mit dem Einen.
POLYTHEISMUS – ca. 2000 vor Chr.
Die Gesellschaft ließ die Einheit des Animismus hinter sich und führte eine Menge Gottheiten ein, die die Elemente der Natur repräsentierten. Jeder dieser Gottheiten musste mit bestimmten Ritualen und Zeremonien gewürdigt werden, um das Wohl der Menschheit zu sichern. Indem die Polytheisten die Antworten auf die Geheimnisse des Lebens im Spirituellen suchten, begannen sie, sich von der Natur zu entfernen. Höhepunkt war die Zeit der griechischen Göttinnen und Götter, die über menschliche und übermenschliche Fähigkeiten verfügten.
Die normalen Menschen konnten nie wissen, ob eine Person oder eine Kreatur nicht in Wirklichkeit ein Gott war. Das hatte ernsthafte Konsequenzen: Eine Gottheit die sich nicht gewürdigt oder nicht ernst genommen fühlte, konnte großen Schaden anrichten. Die Botschaft wahr daher: Lebe so als wäre alles und jeder ein Gott, nur dann kannst Du sicher sein, niemanden auf den Schlips zu treten, der dich hinterher eine Ewigkeit lang Steine den Berg hinaufrollen lässt.
Antworten auf die ewigen drei Fragen war daher:
1.) Wie sind wir entstanden?
Aus dem Chaos.
2.) Wozu sind wir hier?
Um die Götter bei Laune zu halten.
3.) Wie können wir das Beste aus unserem Dasein machen?
Indem wir nie die Götter verärgern.
In jener Zeit suchten die Menschen nach Antworten und brachten die ersten Philosophen hervor. Der Polyethismus entwickelte sich in zwei einander ausschließende Richtungen, ausgehend von Demokrit (um 460-380/370 v. Chr.) und Sokrates (um 470-399) vor Chr..
Für Demokrit und seine Anhänger zählte nur die Materie. Es gibt nur das was man sehen kann – oder zumindest mit einem starken Mikroskop sehen kann. Er prägte den Begriff des Atoms, des Unteilbaren.
Sokrates nahm das Universum seinem Wesen nach als Dualität wahr.
Auf der einen Seite gibt es das nichtmaterielle Reich, in dem Gedanken “Form” (Seele) annehmen. Er behauptete, die Formen der nicht physischen Welt seien perfekt, während die greifbare materielle Welt nur eine Annäherung an diese perfekten Formen, ein grober Schatten sei. Im Laufe der Zeit lebten die Griechen mit beiden Sichtweisen nebeneinander.
MONOTHEISMUS – Gott wohnt nicht mehr hier (~ 800 n. Chr.)
Ähnlich wie Kinder in einem gewissen Alter ein Bedürfnis nach Ordnung und Disziplin erspüren, führte auch der Drang nach einem tieferen spirituellen Verständnis zum Monotheismus und zum Glauben an den einen allmächtigen und allgegenwärtigen Gott, der für alle die Regeln aufstellt.
In den dunklen Zeitaltern wurde der Monotheismus zum herrschenden Paradigma der westlichen Zivilisation, weil er die besten und am ehesten annehmbaren Antworten auf die drei ewigen Fragen bot:
1.) Wie sind wir entstanden?
Durch göttliche Intervention.
2.) Wozu sind wir hier?
Um Tugendhaftigkeit zu üben.
3.) Wie können wir das Beste aus unserem Dasein machen?
Indem wir der heiligen Schrift gehorchen – sonst setzt es was.
Die Kirche ersetzte das frühere Paradigma des Polytheismus und positionierte sich als einzige Wissensquelle unserer Zivilisation. Da sie auch das gesamte Bildungswesen unter Kontrolle hatte, konnte sie ihre Macht über das Wissen nutzen, um enorme Mengen an Wohlstand und Einfluss anzusammeln. Als selbst ernannte Mittlerin zwischen Gott und König konnte sich auch den Arm des Gesetzes dazu bringen, ihre Herrschaft zu sichern. Im Laufe der Zeit, berauscht von immer mehr Autorität, rückte die eigentliche Aufgabe der Kirche, der Menschheit zu helfen, immer mehr in den Hintergrund gegenüber der dringlichen Aufgabe, sich selbst zu helfen. Doch ihre Macht beruhte weiterhin auf dem zerbrechlichen Fundament des Anspruchs auf absolute Wahrheit. Seien wir realistisch. Keine Autorität, vor allem keine, die sich auf statisches, altertümliches Wissen beruft, kann einen solchen Anspruch auf die Dauer bewahren. So mussten sich auch die Theologen damit auseinandersetzen, dass andere zu anderen Ansichten über die Wahrheit gelangten als sie selbst.
So kam es zur Inquisition, in der die mafiös organisierten Glaubenshüter den kritisch denkenden Menschen ein unwiderstehliches Angebot machten: Lass von diesen Gedanken oder du musst dein Leben lassen.
Wessen Ansichten mit dem Dogma der Kirche quer lagen, der landete im Gefängnis und sah Folter und Todesstrafe entgegen.
Die bedrückende Herrschaft der Kirche fand in den Wissenschaftlern der Renaissance endlich eine Gegenkraft, die frischen Wind in die Gesellschaft brachte. Die Wissenschaftler betrachteten die Welt mit liberalen und menschlicherem Blick und gelobten, die Wahrheiten mit offenem Geist und ohne Vorurteile anzusehen. Doch im Laufe der Zeit, nachdem sich die Wissenschaft ihre Position als offizielle Wahrheitsquelle der Zivilisation gesichert hatte, fingen auch die Vertreter dieses Paradigmas an, ihre Wahrheiten mit Nachdruck als absolut und unfehlbar darzustellen.
Durch die Loslösung von der Kirche und Beschränkung ihrer Beobachtungen auf das physische, greifbare Universum erschufen die Wissenschaftler eine neue Philosophie. Das Universum war aus ihrer Sicht nicht von spirituellen Kräften bestimmt, sondern funktionierte wie eine physische Maschine. Sterne, Planeten, Pflanzen und Tiere waren nichts als Zahnräder in einem gigantischen Uhrwerk.
Die Wissenschaftler gingen zwar davon aus, dass Gott dieses erschaffen hat, doch nachdem er es einmal in Gang gesetzt hatte, sei er nicht mehr in die tagtägliche Funktion involviert.
Seit dem 18. Jahrhundert haben drei Grundsätze der Newton`schen Philosophie die Ansätze geprägt, mit denen sich die Wissenschaftler dem Universum nähern:
– Deismus (1776)
– Darwinismus (1859)
– Neo Darwinismus (1953)
Mitte des 19. Jahrhunderts, als der englische Naturforscher Charles Darwin die Szene betrat, wurde der wissenschaftliche Materialismus zum dominanten Paradigma unserer Zivilisation. Darwins Theorien gingen davon aus, dass sich die Menschen im Lauf von Jahrmillionen durch einen niemals endenden Überlebenskampf aus niedrigeren Lebensformen entwickelt hatten. Die Bevölkerung des 19. Jahrhunderts konnte diese Theorien gut annehmen, denn die Regeln der Tier- und Pflanzenzucht waren allgemein bekannt.
Nachdem die Theorie der Evolution als wissenschaftliche Tatsache anerkannt worden war, verlor die Kirche schnell ihre Position als höchste Autorität und musste die Position der offiziellen Wahrheitsquelle an den wissenschaftlichen Materialismus abgeben.
Die MATERIALISTEN beantworteten die drei ewigen Fragen so:
1.) Wie sind wir entstanden?
Aus zufälligen Vererbungsreihen.
2.) Wozu sind wir hier?
Um uns zu vermehren.
3.) Wie können wir das Beste aus unserem Dasein machen?
Indem wir nach den Gesetzen des Dschungels leben.
Aus der Sicht der Wissenschaften gibt es nur die materielle Welt und sonst nichts. Was nicht zu dieser Ideologie passt, gilt als Häresie.
2001 entstand das Human-Genom-Projekt (HGP), zwar ein materialistisches Unterfangen, bewirkte jedoch, dass sich das herrschende Paradigma wieder der Mittellinie zuwandte.
Fangen Sie an, zu erkennen, warum wir die Geschichte hinter unserer eigenen Geschichte beachten sollen? Die alten Geschichten halten uns machtlos (auch die eigenen alten Geschichten) – der Gnade eines fernen Gottes oder irgendwelchen zufälligen Mutationen ausgeliefert.
Genauso wie Animisten und Deisten erkannten, dass Geist und Materie miteinander koexistieren, geht es auch für uns darum, über die Entweder-oder-Haltung hinauszuwachsen ins Sowohl-als-auch.
Es ist wie bei der Bier-Reklame: viel Geschmack und wenig Alkohol. Geist (Spirit) und Materie. Welle und Teilchen. Männlich und Weiblich. Sie und ich und alle anderen auch.
Im Gegenzug zu unseren deistischen Vorfahren kämpfen wir heute nicht gegen einen fernen König, sondern gegen unsere eigenen bewussten und unbewussten Beschränkungen, gegen unsere verzerrte Fehlinterpretation des Wesens und des Potenzials der Menschheit. Wir befinden uns im “Krieg”; unsere Gegner sind Hirngespinste unserer Ängste sowie die gewohnten Abwehrhaltungen gegenüber Dingen, die es vielleicht gar nicht mehr gibt. Die meisten von uns werden von den Überzeugungen und Beschränkungen längst verstorbener Personen “ferngesteuert” – und wissen es nicht einmal!
Ein letztes Beispiel um vielleicht besser hinter die eigenen Kulissen schauen zu können:
Wird ein junger Elefant ausgebildet, bindet man ihn mit einem starken Seil an einen Pfosten. Er kann ziehen und zerren, wie er will: Er kommt nicht los. Irgendwann erkennt der Elefant das Seil als eine übermächtige, unbewegliche Kraft an. Sobald er ausgewachsen ist, braucht man ihm nur noch ein Seil um das Bein zu binden, und er bleibt auf demselben Fleck stehen, denn er hat sich der Allmacht des Seils ergeben. Obwohl er die Kraft hätte, jedes Seil zu zerreißen und jeden Pfosten umzulegen, hält die in jungen Jahren angenommene einschränkende Überzeugung den Elefanten unbeweglich und gefügig.
Wir können uns also fragen: Welche Geschichten und Überzeugungen halten uns unbewusst in Fesseln und ohnmächtig? Was hindert uns daran, unsere wahren Fähigkeiten auszuleben? Sind es unhinterfragte Gewohnheiten unserer Vorfahren oder unserer Lebenspartner?
Ist es nicht an der Zeit aufzuräumen?
(Texte: Auszug aus Spontane Evolution, Bruce H.Lipton, Steve Bhaerman)